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Zur Abbildung des Menschen im öffentlichen Raum

Immer wieder kommt es in Bildkommentaren des fotoforums zu Kontroversen bezüglich der fotografischen Darstellung von befragten oder auch nicht befragten Personen mit und ohne deren Einverständniserklärung oder sonstigen Ansprüchen in alltäglichen oder nicht alltäglichen Situationen.

Das betrifft in erster Linie die Streetfotografie, die als die ehrlichste, aber auch schwierigste Art des Fotografierens gilt. Ihr geht es um die Abbildung des öffentlichen Raums, von Szenen im öffentlichen Leben, um das Erzählen poetischer, ironischer oder sozialkritischer Geschichten. Diese Aufgabe erfüllt sie nur, wenn auch Menschen in zufälligen und unverfälschten Situationen des Alltags dargestellt werden. Und genau da wird die Streetfotografie als eine anerkannte Kunstform mit persönlichkeitsrechtlichen Problemen belastet. Um diesen aus dem Wege zu gehen, empfiehlt man die Anonymisierung von Menschen durch technische Tricks wie Gesichtsverdeckung, Bewegungsunschärfe, Detaildarstellung von Körperteilen, Schattierung etc. Da solche, sicher auch kreativen Darstellungsmöglichkeiten meines Erachtens prinzipiell den Charakter dieser fotografischen Gattung verfremden bzw. verfälschen, bliebe als Minimalkonsens, Personen möglichst nicht großformatig mit der Wirkung einer deutlichen Erkennbarkeit öffentlich zu zeigen (vgl. Streetfotografie made in Germany. Rheinwerk 2018, S. 308). Etwas optimistischer, weil realitätsbezogener, stimmt mich die Feststellung des Bundesverfassungsgerichtes vom 8. Februar 2018, dass die Straßenfotografie mit der ungestellten Abbildung von Menschen ohne vorherige Einwilligung strukturtypisch ist und als Kunstform vom Grundrecht des Art. 5, Abs.3, Satz 11 GG geschützt ist. Das betrifft sowohl das Anfertigen der Fotografie als auch ihre öffentliche Zurschaustellung.

Dennoch wird eingeräumt, dass die Berechtigung zur Abbildung von Menschen auch situationsabhängig ist. So sind beispielsweise Menschen in ihrer Hilflosigkeit nicht abzubilden. Dagegen wird das Recht am eigenen Bild, auch bezogen auf die Erkennbarkeit der Person, zum Beispiel dann nicht verletzt, wenn diese Person Teilnehmer einer öffentlichen Veranstaltung (Demonstration, Versammlung, Kulturveranstaltung etc.) ist. Hier muss man damit rechnen, auch fotografiert zu werden (vgl. Urteil des BGH vom 28. Mai 2013).

Dessen ungeachtet bewegt man sich als Fotograf auf dem schmalen Grat zwischen der Zulässigkeit der Aufnahme im Sinne künstlerischer Freiheit und der Verletzung von Persönlichkeitsrechten mit möglichen juristischen Konsequenzen. Die Abbildung von Menschen ist und bleibt riskant, nicht zuletzt auch dadurch, dass sie bildmanipulatorisch (KI !) missbraucht werden kann. Wenn man nicht bereit ist, dieses Risko einzugehen, dann trägt man nach meiner Einschätzung zum schleichenden Niedergang echter und anspruchsvoller Fotografie bei.

Antworten

Hallo Hartmut,
zu Deinem Thread fällt mir nichts ein. Volles d `accord!
LG  Peter
Hallo Hartmut,

ich veröffentliche hier auch viele Street Fotos und dann fragt mich schon mal jemand öffentlich, ob ich hierfür die Erlaubnis von dem Fotografierten habe. 
Da frage ich mich, was nehmen diese Menschen sich heraus. Mit dem Inbrust des moralisch Erhabenen werden mir Fragen gestellt. Es geht den Fragenden einen feuchten Dreck an, ob ich eine Erlaubnis habe. Da kann ich nur sagen: Wir haben vom Souverän verabschiedete Gesetze und die gilt es zu beachten. Und das ist gut so und alles andere ist Meinung von Einzelnen.

Und daher ist das Urteil des BVerfG aus dem Jahre 2018 so gut und wichtig. Das Recht ist die Richtschnur und nichts anderes. Street Fotografie ist eine Form der Kunstausübung und nach Art. 5 geschützt. Und dieses Grundrecht findet dann seine Grenzen in der Beachtung der Grundrechte anderer ( hier der Fotografierten ). 

Und jetzt zum zum Bild:
Ich mag den Lothar und das weiß er. Aber dieses Bild finde ich fotografisch mißlungen und es wird durch den flotten Begleittext ( Stichwort:Schief ) auch nicht besser. Ich persönlich hätte dieses Foto, wenn ich es denn gemacht hätte, auch nicht veröffentlicht. Aber Lothar hat das anders gesehen und das ist dann seine Meinung und Entscheidung. Und die respektiere ich und werde ihn deswegen nicht moralisch angreifen.
Allein in der Verbindung zwischen dem Liegenden und der Touristengruppe, hier der Dame in Rot, und diesem Spannungsverhältnis ( so auch die Anmerkung von Dieter ) sehe ich eine Bildaussage. Und für diese Bildaussage bedarf es dann keiner detaillierten Ansicht des Gesichts des Liegenden. Und wenn man dann dieses Spannungsverhältnis hätte krasser machen wollen, dann hätte er das mit 70 oder 80 mm tun können ( das Objektiv hätte es hergegeben ) - und es wären nur diese beiden Gegensätze auf dem Bild. Hat er aber nicht gemacht. 
Das nenne ich dann respektvoll.
MIchael

P.S.
Deinen Ausführungen, Hartmut, kann ich inhaltich zu 100 % zu stimmen. Natürlich sind die Street Fotografen Risiken und dann hier im Forum Anfeindungen ausgesetzt. Ja, das ist offensichtlich so. Aber in meiner Studentenzeit hieß es : Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt. Also wehren wir uns.
Der Fotograf neunzehn1972 ( kann man googeln ) hat mal gesagt, dass er alles fotografiert, wenn denn ein Mensch auf dem Foto ist. Und die Fotos mit Menschen sind die, die uns in Erinnerung bleiben. Ich sehe hier im Forun tolle Architektur -, Tier - und Landschaftsfotografien. Die finde ich mitunter sehr gut, bewundere sie wegen der ausgefeilten Technik, doch nach einigen Tagen kann ich mich nicht mehr an sie erinnern. Das Foto von Otto Pohlmann "Familienglück"  werde ich hingegen nicht vergessen.


Hallo Peter und Michael,
ich danke euch für eure zustimmenden Anmerkungen. Du, Michael, verweist zurecht kritisch auf die oft geforderte Verantwortlichkeit des Fotografen bezüglich seines Handelns, ja sogar auf die Nachfrage seiner Erlaubnis zum Fotografieren der Mitmenschen. Deshalb schiebe ich noch eine persönliche Anmerkung nach:
Jede Fotografie ist eine Momentaufnahme. Über die Auswahl des Moments entscheidet der Fotografierende. Den Hintergrund seiner Entscheidung bilden seine Sicht auf die Welt und seine durch eigene Erfahrungen und Einstellungen geprägte Wertschätzung des Moments.
Insbesondere bei der Begegnung mit Menschen und deren Ablichtung ist er weder für die Zeit vorher noch nachher für deren Handeln verantwortlich. Er kann auch in der Regel keine Fragen bezüglich des Vorher und Nachher beantworten. Er will mit seinem Foto den Betrachtenden zum Nachdenken und zum Erfinden eigener Geschichten anregen. Auch die können nur rein subjektiv und fiktiv sein.
Der Wert eines Fotos besteht vorrangig in seiner emotionalen und kognitiven Wirkung auf den Betrachtenden. Die Art und Weise seiner Entstehung ist nachrangig.
Gruß Hartmut
Liebe Leute, das ist ja eine prima Sache hier! Danke, Hartmut, für deinen Anstoß!

Da mein Foto Auslöser für diesen Gedankenaustausch ist, möchte ich mich der Diskussion nicht entziehen. Danke für eure Einlassungen zu diesem Thema.

Qua Beruf bin ich seit den 1980er Jahren mit Urheber- Nutzungs- und Persönlichkeitsrecht im Bereich Fotografie vertraut. Das betrifft selbstverständlich auch das Recht am eigenen Bild. Und, das sei noch erwähnt, dieses Recht wird international zum Teil anders behandelt als in der EU-DSGVO mit ihren länderspezifischen Anpassungen. Den Diskurs über Paragrafen, juristische Einschätzungen und gerichtliche Urteile möchte ich nicht weiter verfolgen, mir geht es um etwas anderes: um den Inhalt.

Entscheidend für eine Fotografie von Menschen und gegebenenfalls deren Veröffentlichung ist eine Grenze, die ich nicht überschreite - die Würde des Menschen. So könnte ich beispielsweise niemals Menschen in ihrem Elend oder in großer Not ablichten. Noch nie habe ich einen Bettler auf der Straße fotografiert. Auch als Kriegsreporter wäre ich völlig untauglich. 

Beispielsweise wäre ein Foto wie dieses für mich unmöglich:https://www.fotocommunity.de/photo/bettlerin-in-indien-gerd-moch/21610808
Und was würde Frank zu diesem Foto sagen?:https://www.hanisauland.de/sites/default/files/styles/article_1180/publi...

Aber bleiben wir bei meinem Bild: Ein Kubaner macht ein Nickerchen am Straßenrand. Beim Rauchen seiner Zigarre ist er wohl eingeschlafen. Er liegt nicht etwa in Erbrochenem, seine Hose ist nicht mit Urin getränkt, so wie man das täglich in unseren Großstädten sehen kann. Er hat auch kein Schild mit „Helft mir, ich bin arm und habe Hunger“ dabei. Er ist sauber gekleidet. Der Abstand  zu ihm lässt keine Interpretation seiner Gesichtszüge zu. Ich hätte hier in die Knie gehen und seinen Oberkörper oder sein Gesicht formatfüllend fotografieren können, wie Michael angemerkt hat. Das wär's gewesen, Frank, reißerisch und pietätlos. Und vor allem heimlich. Obwohl die Stadt voller Menschen war. 

Dieser Mensch ist weder bloßgestellt noch seiner Würde beraubt. Er macht ein Schläfchen wie tausend andere in Europa, auf Parkbänken, in Cafés oder Zügen. Das Fotoforum ist voll mit Bildern solcher Situationen. 

Ich stehe zu diesem Foto und dem Kontext, in dem es steht. Ich würde es wieder so machen, denn das ist Straßenfotografie!

Beste Grüße Lothar