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GER – many are one

23. Juli 2021 - Martin Breutmann

INTERVIEW. Der Foto­graf Micha Neugebauer und der Autor Wolf Schmidt haben 30 deutsche Athletinnen und Athleten besucht, fotografiert, interviewt. Anhand des Spitzensports zeigen sie, dass Deutschlands Bevölkerung aus allen Teilen der Welt kommt und Deutschsein keine Frage des Aussehens ist. Für das fotoforum wechselten sie einmal die Position und stellten sich für ein Interview zu ihrem Projekt den Fragen von Martin Breutmann.

Turner Andreas Toba. Foto: Micha Neugebauer
Turner Andreas Toba: „Da stand ich dann und stellte fest, dass meine besten Freunde alle in der Halle waren.“   Foto: Micha Neugebauer


Wie ist die Idee zu dem Projekt entstanden?
Micha Neugebauer: 2018, während in Berlin die Europameisterschaften der Leichtathletik stattfanden, habe ich in einem Fernsehbeitrag gesehen, wie die deutsche Leichathletin Malaika Mihambo ihren Europameistertitel errungen hat und auf dem Podest stand, mit Tränen in den Augen. Das hat mich sehr berührt. Das hat mich so angefasst, dass ich diesem Gefühl auf den Grund gehen wollte.

Ihr habt 30 Sportlerinnen und Sportler in Deutschland aufgesucht, …
Wolf Schmidt: Eine in Frankreich.
… in Corona-Zeiten kein leichtes Unterfangen!
Wolf Schmidt: Wir hatten ja bereits viel Arbeit geleistet, bevor Corona kam. Diese Arbeit sollte fertig sein zu den Spielen 2020. Als die Pandemie kam und die Spiele verschoben wurden, haben wir einfach daran weitergearbeitet und die Corona-Thematik mit reingenommen.

Wasserspringer Patrick Hausding:  „Ich habe die Geduld eines Baumes – außer im Auto.“   Foto: Micha Neugebauer
Wasserspringer Patrick Hausding: „Ich habe die Geduld eines Baumes – außer im Auto.“   Foto: Micha Neugebauer


Corona hat euch also bei der Umsetzung des Projekts nicht konkret behindert?
Wolf Schmidt: Nein – außer, dass wir ungern in Zügen sitzen mit Maske auf.
Micha Neugebauer: Natürlich war es nicht mehr so einfach, zu den Athleten vorzudringen, die haben sich ja in geschlossenen Systemen bewegt. Und so habe ich schon einige Wochen warten müssen, bis ich zum Beispiel er­neut Zugang hatte zum Olympia-Stützpunkt in Niedersachsen.

Wolf Schmidt: Die Einschränkungen durch Corona bezogen sich auf eine handvoll Fälle. Überwiegend hatten wir quasi freien Zutritt. Die Verbände wussten ja auch, dass es für sie selber gut ist, wenn mal etwas anderes gezeigt wird als die Action­fotos, wie sie schon jeder kennt.

Bahnradfahrer Stefan Böttcher. Foto: Micha Neugebauer
Bahnradfahrer Stefan Böttcher: Einmal wurde er gefragt, was seine geheime Superkraft sei, und er antwortete: „Ich kann ziemlich gut Schach spielen.“   Foto: Micha Neugebauer


Ausstellung, Buch, Film – mögt ihr mal etwas zu dem Gesamtkonzept sagen?
Wolf Schmidt: Wir wollten eine Ausstellung machen, in der wir die deutsche Gesellschaft zeigen in einer fast schon idealisierten Form, so nach dem Motto: Sieh mal, das ist schon so, wenngleich es noch nicht so ist. Also: alle kommen von überall her und verstehen sich. Es ging uns nicht darum, zu kritisieren, was hinter uns liegt und verbessert werden muss, sondern darum, so zu tun, als hätte diese Verbesserung bereits stattgefunden – so wie es ja eben der Fall ist im Sport. Das war die Grundidee. Dann wollten wir aber auch zeigen, welche Arbeit dahintersteckt, was es überhaupt bedeutet, sich zu qualifizieren für die Olympischen Spiele, unabhängig davon, ob man eine Medaille gewinnt. Und wir wollten ihnen eine Plattform geben, die über diesen Rhythmus der Olympiade alle vier Jahre hinausgeht.
Micha Neugebauer: Eine Ausstellung erreicht ja auch nur einen sehr begrenzten Teil an Menschen. Mit dem Buch ist es jetzt natürlich noch hundert Mal schöner geworden. Und wir wollen den Sportlerinnen und Sportlern auch etwas an die Hand geben, mit dem sie über sich erzählen können. Darum läuft der Film bei YouTube und kann geteilt werden. Es geht also darum, Öffentlichkeit zu erzeugen.
Wolf Schmidt: Wir sind nicht davon ausgegangen, dass wir jemals etwas verdienen damit, haben uns nur gewünscht, dass wir nicht zu viel draufzahlen.

Hockeynationalspielerin Selin Oruz: „Nicht alles zu bewerten ist wahrscheinlich das, was einen am Ende des Tages offener macht. Dann kann es auch passieren, dass man nicht merkt, dass jemand fremde Wurzeln hat.“   Foto: Micha Neugebauer
Hockeynationalspielerin Selin Oruz: „Nicht alles zu bewerten ist wahrscheinlich das, was einen am Ende des Tages offener macht. Dann kann es auch passieren, dass man nicht merkt, dass jemand fremde Wurzeln hat.“   Foto: Micha Neugebauer


Wie habt ihr das Projekt finanziert?
Wolf Schmidt: Das Deutsche Sport- und Olympia-Museum in Köln ist unser Kooperationspartner. Gefördert wurden wir auch von der Niedersächsischen Lotto-Sport-Stiftung und vom Bundesinstitut für Sportwissenschaft.
Micha Neugebauer: Ohne die hätte es nicht funktioniert.

Micha, du hast das Projekt konsequent in Schwarz-Weiß umgesetzt. Was waren deine Beweggründe?
Micha Neugebauer: Ich mag Farbe, ich habe nur persönlich das Gefühl, dass diese Reduzierung auf Schwarz-Weiß immer noch einen viel stärkeren Fokus auf das Objekt, auf die Person und auf die Gestaltung eines Raums richtet. Aber das ist auch nur die halbe Wahrheit.
Es gab auch wunderschöne Farbmotive, wo ich dann dachte: Ach, hätte ich es mal doch in Farbe gezeigt!

Surferin Noah Lia Klapp. Foto: Micha Neugebauer
Surferin Noah Lia Klapp übt täglich bis zu vier Stunden ihre Surfing-Moves, am liebsten kurz nach Sonnenuntergang. Dann sind die Hobbysurfer weg, und Profis wie sie haben ihre Ruhe auf Wellen, die schwarz im Restlicht funkeln.   Foto: Micha Neugebauer


Magst du noch etwas zu deiner Arbeitsweise erzählen? Was ist dir wichtig in Bezug auf Technik, Licht und Gestaltung?
Micha Neugebauer: Ich habe tatsächlich alles nur mit dem vorhandenen Licht fotografiert.
Wolf Schmidt: Das hätte mir noch gefehlt, wenn wir noch Lampen hätten schleppen müssen!
Micha Neugebauer: Ich habe immer nur einen sehr kompakten Fotorucksack mitgehabt, mit zwei Gehäusen und zwei, drei Linsen. Das hat der ganzen Sache auch gutgetan, denn am Ende ist es ja so eine halb dokumentarische, halb inszenierte Arbeit geworden. Je kleiner das Besteck, desto beweglicher bleibe ich.
Wolf Schmidt: Micha ist beim Fotografieren oft gar nicht zu sehen.
Micha Neugebauer: Ich komme aus der klassischen Werbe- und Industriefotografie. Da habe ich gelernt: Wir packen ein Auto voll mit Licht, Generatoren – und machen dann ein Bild. Ich bin kein Freund davon. Daher wähle ich die Technik so einfach wie möglich, um den Leuten viel Spielraum in ihrem natürlichen Umfeld zu geben. Wenn man die Grundregeln beherrscht, dann kann jeder mit wenig Aufwand gute Bilder machen.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview in der Langfassung lesen Sie im aktuellen fotoforum 3/2021.

GER - many are one, Edition Bildperlen, www.bildperlen.de
Das Buch: „GER – many are one / Typisch deutsch im Spitzensport"
Michae Neugebauer (Fotografie), Wolf Schmidt (Interviews)
276 Seiten, 24 x 30 cm, Festeinband, Softtouch, Duplexdruck, Gold, Heißfolienprägung, Edition Bildperlen
ISBN 978-3-96546-505-3, 40 Euro
www.bildperlen.de

Die Ausstellung ist bis zum 5. September 2021 im Deutschen Sport & Olympia Museum Köln zu sehen.
 

Micha Neugebauer. Foto: Wolf Schmidt
Micha Neugebauer wurde 1969 in Eutin/Schleswig-Holstein geboren. Seit 1997 arbeitet er freiberuflich in Hannover und realisiert neben seiner beruflichen Fotografie unterschiedliche Ausstellungsarbeiten und Projekte.   Foto: Wolf Schmidt

Wolf Schmidt (rechts). Foto: Micha Neugebauer
Wolf Schmidt (rechts im Bild, hier beim Interview mit dem Turner Andreas Toba) wurde 1970 in Essen geboren, arbeitet seit 2003 als selbständiger Handwerker und seit 2015 als freier Autor in Hannover.   Foto: Micha Neugebauer