GER – many are one
INTERVIEW. Der Fotograf Micha Neugebauer und der Autor Wolf Schmidt haben 30 deutsche Athletinnen und Athleten besucht, fotografiert, interviewt. Anhand des Spitzensports zeigen sie, dass Deutschlands Bevölkerung aus allen Teilen der Welt kommt und Deutschsein keine Frage des Aussehens ist. Für das fotoforum wechselten sie einmal die Position und stellten sich für ein Interview zu ihrem Projekt den Fragen von Martin Breutmann.

Wie ist die Idee zu dem Projekt entstanden?
Micha Neugebauer: 2018, während in Berlin die Europameisterschaften der Leichtathletik stattfanden, habe ich in einem Fernsehbeitrag gesehen, wie die deutsche Leichathletin Malaika Mihambo ihren Europameistertitel errungen hat und auf dem Podest stand, mit Tränen in den Augen. Das hat mich sehr berührt. Das hat mich so angefasst, dass ich diesem Gefühl auf den Grund gehen wollte.
Ihr habt 30 Sportlerinnen und Sportler in Deutschland aufgesucht, …
Wolf Schmidt: Eine in Frankreich.
… in Corona-Zeiten kein leichtes Unterfangen!
Wolf Schmidt: Wir hatten ja bereits viel Arbeit geleistet, bevor Corona kam. Diese Arbeit sollte fertig sein zu den Spielen 2020. Als die Pandemie kam und die Spiele verschoben wurden, haben wir einfach daran weitergearbeitet und die Corona-Thematik mit reingenommen.

Corona hat euch also bei der Umsetzung des Projekts nicht konkret behindert?
Wolf Schmidt: Nein – außer, dass wir ungern in Zügen sitzen mit Maske auf.
Micha Neugebauer: Natürlich war es nicht mehr so einfach, zu den Athleten vorzudringen, die haben sich ja in geschlossenen Systemen bewegt. Und so habe ich schon einige Wochen warten müssen, bis ich zum Beispiel erneut Zugang hatte zum Olympia-Stützpunkt in Niedersachsen.
Wolf Schmidt: Die Einschränkungen durch Corona bezogen sich auf eine handvoll Fälle. Überwiegend hatten wir quasi freien Zutritt. Die Verbände wussten ja auch, dass es für sie selber gut ist, wenn mal etwas anderes gezeigt wird als die Actionfotos, wie sie schon jeder kennt.

Ausstellung, Buch, Film – mögt ihr mal etwas zu dem Gesamtkonzept sagen?
Wolf Schmidt: Wir wollten eine Ausstellung machen, in der wir die deutsche Gesellschaft zeigen in einer fast schon idealisierten Form, so nach dem Motto: Sieh mal, das ist schon so, wenngleich es noch nicht so ist. Also: alle kommen von überall her und verstehen sich. Es ging uns nicht darum, zu kritisieren, was hinter uns liegt und verbessert werden muss, sondern darum, so zu tun, als hätte diese Verbesserung bereits stattgefunden – so wie es ja eben der Fall ist im Sport. Das war die Grundidee. Dann wollten wir aber auch zeigen, welche Arbeit dahintersteckt, was es überhaupt bedeutet, sich zu qualifizieren für die Olympischen Spiele, unabhängig davon, ob man eine Medaille gewinnt. Und wir wollten ihnen eine Plattform geben, die über diesen Rhythmus der Olympiade alle vier Jahre hinausgeht.
Micha Neugebauer: Eine Ausstellung erreicht ja auch nur einen sehr begrenzten Teil an Menschen. Mit dem Buch ist es jetzt natürlich noch hundert Mal schöner geworden. Und wir wollen den Sportlerinnen und Sportlern auch etwas an die Hand geben, mit dem sie über sich erzählen können. Darum läuft der Film bei YouTube und kann geteilt werden. Es geht also darum, Öffentlichkeit zu erzeugen.
Wolf Schmidt: Wir sind nicht davon ausgegangen, dass wir jemals etwas verdienen damit, haben uns nur gewünscht, dass wir nicht zu viel draufzahlen.

Wie habt ihr das Projekt finanziert?
Wolf Schmidt: Das Deutsche Sport- und Olympia-Museum in Köln ist unser Kooperationspartner. Gefördert wurden wir auch von der Niedersächsischen Lotto-Sport-Stiftung und vom Bundesinstitut für Sportwissenschaft.
Micha Neugebauer: Ohne die hätte es nicht funktioniert.
Micha, du hast das Projekt konsequent in Schwarz-Weiß umgesetzt. Was waren deine Beweggründe?
Micha Neugebauer: Ich mag Farbe, ich habe nur persönlich das Gefühl, dass diese Reduzierung auf Schwarz-Weiß immer noch einen viel stärkeren Fokus auf das Objekt, auf die Person und auf die Gestaltung eines Raums richtet. Aber das ist auch nur die halbe Wahrheit.
Es gab auch wunderschöne Farbmotive, wo ich dann dachte: Ach, hätte ich es mal doch in Farbe gezeigt!

Magst du noch etwas zu deiner Arbeitsweise erzählen? Was ist dir wichtig in Bezug auf Technik, Licht und Gestaltung?
Micha Neugebauer: Ich habe tatsächlich alles nur mit dem vorhandenen Licht fotografiert.
Wolf Schmidt: Das hätte mir noch gefehlt, wenn wir noch Lampen hätten schleppen müssen!
Micha Neugebauer: Ich habe immer nur einen sehr kompakten Fotorucksack mitgehabt, mit zwei Gehäusen und zwei, drei Linsen. Das hat der ganzen Sache auch gutgetan, denn am Ende ist es ja so eine halb dokumentarische, halb inszenierte Arbeit geworden. Je kleiner das Besteck, desto beweglicher bleibe ich.
Wolf Schmidt: Micha ist beim Fotografieren oft gar nicht zu sehen.
Micha Neugebauer: Ich komme aus der klassischen Werbe- und Industriefotografie. Da habe ich gelernt: Wir packen ein Auto voll mit Licht, Generatoren – und machen dann ein Bild. Ich bin kein Freund davon. Daher wähle ich die Technik so einfach wie möglich, um den Leuten viel Spielraum in ihrem natürlichen Umfeld zu geben. Wenn man die Grundregeln beherrscht, dann kann jeder mit wenig Aufwand gute Bilder machen.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview in der Langfassung lesen Sie im aktuellen fotoforum 3/2021.
Das Buch: „GER – many are one / Typisch deutsch im Spitzensport"
Michae Neugebauer (Fotografie), Wolf Schmidt (Interviews)
276 Seiten, 24 x 30 cm, Festeinband, Softtouch, Duplexdruck, Gold, Heißfolienprägung, Edition Bildperlen
ISBN 978-3-96546-505-3, 40 Euro
www.bildperlen.de
Die Ausstellung ist bis zum 5. September 2021 im Deutschen Sport & Olympia Museum Köln zu sehen.

